Freckenhorst – Tief eingetaucht in die jüngere deutsche Geschichte – und damit auch in die Geschichte Freckenhorsts – ist Dr. Stephan Klumpe. Der Arzt, Vorstandsmitglied des örtlichen Bürgerschützenvereins, war von seinen Schützenbrüdern beauftragt worden, Fakten für ein Gedenkblatt zusammenzutragen, das anlässlich der Verlegung eines Stolpersteins im Gedenken an Siegfried Elsberg am 8. November in Freckenhorst vorgetragen werden soll. Der Schützenverein ist Pate für diesen Stein.
Der Manufakturwarenhändler Siegfried Elsberg jedenfalls, den es aus Ennigerloh über Westkirchen in die Stiftsstadt verschlagen hatte, glaubte lange, dass es sich bei der Aberkennung seines Gewerbescheins nur um einen Irrtum handeln konnte.
Siegfried Elsberg, aus einer weit verzweigten Familie stammend, war das älteste von fünf Kindern der Eheleute Jonas und Rosa Elsberg, geb. Goldberg. Er wurde im Jahr 1900 geboren und besuchte später das Laurentianum in Warendorf. Ob er dort das Abitur bestand oder aber die Schule vorzeitig verließ, besagen die Quellen, die Klumpe zur Verfügung standen, nicht. Es sei aber gut möglich, berichtet der Mediziner, dass er noch vor Abschluss der Schulzeit die Schule verließ, um während des Ersten Weltkrieges in einem Freicorps zu dienen. Das wiederum gehe aus einem Schriftwechsel hervor, in dem Elsberg sich später unter Hinweis auf die geleisteten staatsbürgerlichen Pflichten während des Ersten Weltkrieges gegen die Aberkennung seiner Gewerbekarte wehrte. 1934 hatte Elsberg das Obergeschoss des Hauses Warendorfer Straße 99 /Ecke Nepomukstraße gemietet. Zuvor hatte der Kaufmann die aus Münster stammende Mathilde Schläger, eine Frau evangelischen Glaubens, geheiratet. Das Paar hatte eine Tochter. Der Vermieter der Familie Elsberg, Arnold Menke, ehemaliger Leiter der Landwirtschaftsschule Freckenhorst, wurde 1937 von der Landwirtschaftskammer rüde angegangen, weil er an einen Juden vermietet hatte. Darauf ließ er die Kammer wissen, dass Siegfried Elsberg nur vorübergehend in seinem Hause wohne, weil er zu bauen gedenke.
Das bestätigt die Enkelin Menkes, Monika Rosczyk, geb. Niewöhner. Elsberg sei damals wohl noch von einer Zukunft für sich und seine Familie in Deutschland ausgegangen und nur schwer dazu zu bewegen gewesen, sich mit einer Flucht gedanklich zu befassen. Erst nach den Erfahrungen der Pogromnacht habe sich das geändert.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatte der braune Mob auch die Wohnung der Elsbergs gestürmt und verwüstet. Die Familie überstand die Nacht unverletzt, weil sie sich in das Bienenhaus im Garten geflüchtet hatte, wo die Nazis sie nicht fanden.
Nach seiner Verhaftung mit anschließendem Arrest in Warendorf dachte Elsberg über Flucht nach. Aus dem Arrest entlassen wurde er, weil er einen Termin im amerikanischen Konsulat nachweisen konnte. Dort wollte er ein Visum beantragen.
Anfang 1939 zog er mit Frau und Tochter Lotte zunächst nach Münster. Von dort aus flüchteten die Drei nach Kopenhagen, wo es möglicherweise familiäre Bande gab. Einige Monate später tauchen die Namen der Elsbergs auf der Passagierliste der Kungsholm, einem Passagierschiff der Svenska Amerika Linien, auf. Von Göteborg aus reiste die kleine Familie nach New York. Auf der Passagierliste ist als letzter Wohnort Kopenhagen vermerkt.
Von New York aus zogen die Elsbergs nach San Francisco, Kalifornien. Dort wurde Siegfried Elsberg 1946 eingebürgert. 1963 starb er in San Francisco, seine Frau 1985 in San Mateo/Kalifornien. Tochter Lotte soll aus den USA nach Dänemark emigriert sein. Ihre Spur verliert sich hier.
„Die Übernahme der Patenschaft für den Stolperstein ist dem Bürgerschützenverein ein Anliegen“, betont Dr. Stephan Klumpe. „Der Ausschluss aus der Gemeinschaft, aus der Mitte, darf nicht sein und nie wieder stattfinden.“
In einer öffentlichen Veranstaltung wird Klumpe seine Erkenntnisse am 8. November vorstellen. Nach der Stolpersteinverlegung um 16 Uhr an der Warendorfer Straße 99 wird es eine Gedenkfeier um 16 Uhr im Bürgerhaus geben. Dort soll das Gedenkblatt verlesen werden. Alle Interessierten sind zu dieser Gedenkstunde eingeladen.
Von Joke Brocker aus “Westfälische Nachrichten” vom 02.11.2013